Der psychopathische Charakter nach LOWEN

Beschreibung:  Ein Kennzeichen der psychopathischen Haltung ist das Leugnen von Gefühlen.  Diese Einstellung steht im Gegensatz zum schizoiden Charakter, der sich von seinen Gefühlen löst.  Bei der psychopathischen Persönlichkeit wendet sich das Ich oder der Geist gegen den Körper und seine Gefühle, besonders seine sexuellen Gefühle.  Normalerweise besteht die Funktion des Ichs darin, das Streben des Körpers nach Lust zu unterstützen, statt es zu untergraben.  Der andere Aspekt der Persönlichkeit ist der Drang nach Macht und das Bedürfnis, andere Menschen zu steuern oder gar zu beherrschen.

Der psychopathische Charaktertyp ist nicht zuletzt deshalb so vielschichtig, weil es zwei Methoden gibt, mit denen man Macht über andere erlangen kann.  Die eine Methode besteht darin, andere Menschen einzuschüchtern oder zu tyrannisieren.  Wenn sie sich nicht gegen die Einschüchterung wehren, werden sie in gewisser Beziehung zu Opfern.  Die zweite Methode besteht darin, andere Menschen zu bezwingen, indem man sich in ihr Vertrauen einschleicht, sie gewissermaßen verführt.  Sie wirkt besonders bei naiven oder leichtgläubigen Menschen, die dem Psychopathen begegnen.

Bioenergetischer Zustand: Den beiden psychopathischen Strukturen entsprechen zwei Körpertypen.  Der tyrannisierende Typ läßt sich bioenergetisch leichter erklären. Man gewinnt Macht über einen anderen Menschen, indem man sich über ihn erhebt.  Bei diesem Typ strömt außergewöhnlich viel Energie zum Kopfende des Körpers, wodurch die untere Körperhälfte nur mangelhaft geladen wird.  Die beiden Körperhälften stehen in einem auffallenden Mißverhältnis zueinander; die obere ist besser entwickelt und beherrscht das Erscheinungsbild.

In der Zwerchfell- und Taillengegend sind gewöhnlich Verkrampfungen vorhanden, die den Fluß von Energie und Gefühl nach unten blockieren.

Der Kopf ist energetisch zu stark geladen, was zu einer Hypererregung des geistigen Systems führt: Der Betreffende überlegt ständig, wie er Situationen unter seine Kontrolle bekommen und beherrschen kann.

Die Augen sind besonders wach oder mißtrauisch.  Sie haben keinen Blick für gegenseitige Beziehungen.  Es ist typisch für alle psychopathischen Persönlichkeiten, daß sie vor bestimmten Dingen und Einsichten die Augen schließen.

Das Bedürfnis nach Macht und Kontrolle ist auch auf sich selbst gerichtet.  Der Kopf wird sehr steif gehalten (um ihn nicht zu verlieren) und hat den Körper „fest im Griff“.

Körperliche Erscheinung: Der Körper des tyrannisierenden Typs ist in der oberen Hälfte unverhältnismäßig stark entwickelt.  Sie wirkt aufgebläht, was der aufgeblähten Selbst-Vorstellung des Betreffenden entspricht.  Man könnte sagen, daß der Körperbau kopflastig ist.  Er ist außerdem starr.  Die untere Körperhälfte ist schmaler und weist in vielen Fällen die typische Schwäche der oralen Charakterstruktur auf.

Der Körper des zweiten Typs, der andere Menschen bezwingt, indem er sich in ihr Vertrauen einschleicht, sie verführt, ist besser proportioniert und wirkt nicht aufgebläht.  Sein Rücken ist gewöhnlich hyperflexibel.

In beiden Fällen ist der Fluß zwischen den zwei Körperhälften gestört.  Beim ersten Typ ist das Becken ungenügend geladen und hat eine starre Position; beim zweiten ist es zu stark geladen, aber nicht mit dem Kern verbunden.  Beide Typen weisen deutliche Verspannungen in der Zwerchfellgegend auf.  Auch die Augenpartie und die Gegend unter dem Hinterkopf sind ungewöhnlich gespannt.  An der Schädelbasis, also dem oralen Bereich, kann man ebenfalls starke Muskelverspannungen ertasten; sie stellen eine Hemmung des Saugimpulses dar.

Psychologische Begleitmerkmale: Eine psychopathische Persönlichkeit braucht jemanden, den sie steuern kann, ist aber zugleich von dem Betreffenden abhängig.  Psychopathische Menschen sind also bis zu einem gewissen Grad auch orale Persönlichkeiten.  In der psychiatrischen Literatur heißt das, sie haben eine orale Fixierung.

Das Bedürfnis, jemanden zu steuern, hängt eng mit der Furcht vor dem Gesteuertwerden zusammen.  Gesteuert werden, heißt benutzt werden.  Wir werden in der Fallgeschichte von Menschen mit dieser Charakterstruktur sehen, daß sie als Kinder mit ihren Eltern um Herrschaft und Steuerung kämpften.

Der Trieb, die Oberhand zu gewinnen oder Erfolg zu haben, ist so stark, daß der Betreffende alles tut, um Niederlagen zu verhindern.  Eine Niederlage würde ihn zum Opfer machen; aus diesem Grund muß er in jeder Konkurrenzsituation Sieger bleiben.

Um Macht zu erlangen, arbeitet er immer mit Sexualität. Er übt seine scheinbare Kontrolle mit einschmeichelnden Verführungskünsten aus.  Bei der sexuellen Betätigung steht er ebenfalls unter Leistungszwang, und die Lust spielt nur eine sekundäre Rolle.

Das Leugnen von Gefühl bedeutet im Grunde, daß er sein Bedürfnis nach anderen Menschen leugnet.  Mit seinen psychopathischen Manövern will er andere dahin bringen, daß sie ihn brauchen, damit er sein Verlangen nach ihnen nicht ausdrücken muß.  Auf diese Weise möchte er der ganzen Welt immer eine Nasenlänge voraus sein.

Ursächliche und historische Faktoren: Wie bei den anderen Charaktertypen erklärt die Lebens- oder Fallgeschichte auch hier das Verhalten.  Lowen sagt verallgemeinernd , daß kein Mensch sein Verhalten verstehen kann, wenn er seine „Geschichte“ nicht kennt.  Eine der Hauptaufgaben jeder Therapie liegt also darin, die Lebenserfahrungen des Patienten herauszubekommen und zu erläutern.

Das ist bei diesem Persönlichkeitstypus oft sehr schwierig, weil die psychopathische Tendenz, Gefühl zu leugnen, auch das Leugnen von Erfahrungen einschließt.

Der wichtigste ursächliche Faktor für die Entwicklung des psychopathischen Zustands ist ein sexuell verführender Elternteil.  Die Verführung erfolgt unterschwellig und soll die narzißtischen Bedürfnisse des Elternteils befriedigen.  Sie zielt darauf ab, das Kind an sich zu binden.

Ein verführender Elternteil ist unweigerlich ein zurückweisender Eltemteil, was das Bedürfnis des Kindes nach Halt und körperlichem Kontakt betrifft.  Dieser Mangel an Kontakt und Halt führt zu den oralen Elementen in der Charakterstruktur.

Die Verführungsbeziehung läßt ein Dreiecksverhältnis entstehen, bei dem das Kind gezwungen wird, den Elternteil herauszufordern oder anzugreifen, der das gleiche Geschlecht hat wie es selbst.  Dadurch wird eine Schranke geschaffen, die die notwendige Identifikation mit dem Elternteil vom gleichen Geschlecht verhindert und die Identifikation mit dem Elternteil vom anderen Geschlecht begünstigt.

In dieser Situation wird das Kind außerordentlich verwundbar, wenn es nach Kontakt greift.  Deshalb wird es sich entweder über das Bedürfnis hinwegsetzen (Transposition nach oben) oder das Bedürfnis befriedigen, indem es die Eltern manipuliert (verführerischer Typ).

Die psychopathische Persönlichkeit hat auch ein masochistisches Element, das auf die Unterwerfung unter den verführenden Elternteil zurückgeht.  Das Kind konnte nicht gegen die Situation rebellieren oder sich ihr entziehen; seine einzige Abwehr war innerlich.  Die Unterwerfung ist nur oberflächlich; dennoch erreicht es eine gewisse Nähe zu dem betreffenden Elternteil, und zwar in dem Grad, in dem es sich offen unterwirft.

Das masochistische Element ist bei der einschmeichelnden oder verführerischen Variante der psychopathischen Charakterstruktur am stärksten ausgebildet.  Der erste Schritt besteht darin, eine Beziehung herzustellen, in der man eine masochistisch unterwürfige Rolle spielt.  Wenn die Verführung erfolgreich war und die Bindung des betreffenden Menschen gesichert ist, werden die Rollen umgekehrt, und es entwickelt sich ein sadistischer Zug.

Ergänzungen (Zitate) aus „Körperausdruck und Persönlichkeit“ (LOWEN)


Der passiv-feminine Mann ist ein Individuum, bei dem bestimmte weibliche Züge so offenkundig sind, daß sie eine Seite der Persönlichkeit bestimmen.  Aber wir möchten betonen, daß wir hier nicht das Problem der Homosexualität besprechen.

Das wichtigste physische Merkmal, das diesen Typus auszeichnet, ist die weiche, weiblich klingende Stimme.  Sie wirkt weiblich, weil ihr tiefe Resonanz und Schärfe fehlen.  Auch der Gesichtsausdruck ist meist weich und plastisch.  Die Art der Bewegung ist niemals brüsk oder selbstbewußt.  Der Körperbau kann entweder rundlich mit ziemlich schmalen Schultern sein oder V-förmig mit breiten Schultern und schmalen Hüften.  Die Hände sind im typischen Fall weich und ziemlich schwach.  Soviel ließ sich etwa an der äußeren körperlichen Erscheinung dieser Patienten ablesen.

Man sollte die Gefühle der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung bei dem Menschen mit passiv-femininem Charakter, der sich nicht homosexuell betätigt, um einen Ausweg zu haben, nicht unterschätzen.  Psychisch ist die Aggression (die Bewegung nach vorn) durch die starke Kastrationsangst blockiert; die Regression wird durch die ebenso starke Angst vor Homosexualität blockiert.  Beim echten Homosexuellen ist die bioenergetische Dynamik anders.  Die Genitalität ist aufgegeben worden, wenn man auch behaupten kann, sie sei niemals fest etabliert gewesen.  Die passiv-feminine Struktur ist, im Unterschied zum Homosexuellen, in der Genitalität verankert, aber durch Angst immobilisiert.  Bei Masochismus und Oralität kann das Problem auf der prägenitalen Ebene gelöst werden.  Bei dieser Charakterstruktur wird die Situation durch den Umstand kompliziert, daß weder eine Vorwärts- noch eine Rückwärtsbewegung möglich ist.  Es ist, als habe der passiv-feminine Charakter die genitale Stufe der Ich-Organisation erreicht, sei aber von Angst gelähmt.  Das Problem ist nun gerade diese Lähmung.

Beim passiv-femininen Mann sind die tiefliegenden Muskeln stark verspannt, während die Muskulatur an der Oberfläche relativ weich ist.  Dies erklärt die weichen Bewegungen solcher Männer.  Die Immobilisierung der genitalen Aggression behindert die normale Entwicklung männlicher Muskulosität, es sei denn, diese Entwicklung tritt als sekundäres, kompensatorisches Phänomen auf.  Es gibt also zwei Faktoren. die die femininen Tendenzen erklären.  Zunächst findet die normale männliche Entwicklung nicht statt, und diese wird dann von einer späteren Identifizierung mit der Frau überlagert.

Die passiv-feminine Struktur ist auch eine Folge des Konflikts zwischen geschwächten genitalen Impulsen und schwerer genitaler Frustration.  Auch hier dient die Rigidität als immobilisierende Kraft, was zur fast vollständigen Unterdrückung der männlichen Aggression führt.

Man reagiert auf Schrecken, indem man tief Luft holt, den Bauch einzieht und die Schultern hochzieht.  Dadurch wird der Brustkorb aufgeblasen und die Energie hier immobilisiert.  Wie wir gesehen haben, ist dies ein Kennzeichen des passiv-femininen Charakters, so daß die breiten eckigen Schultern ein Ausdruck der Passivität sind und keine sekundäre Entwicklung.  Die schmalen Hüften sind die Folge schwerer Verspannungen im Becken und in den Oberschenkeln, die die Beckenkapazität und die genitale Ladung vermindern.

Bei diesem Typus des passiv-femininen Charakters schwächt das starke orale Element in der Struktur den genitalen Trieb sehr.  Dieser Charaktertypus unterscheidet sich vom oralen Charakter durch einen besseren Kontakt zur Realität, eine geringere Tendenz zu Perioden der Depression und der Hochstimmung und eine ausgeprägte Verminderung der typischen Redefreudigkeit.

Die Entwicklung einer Struktur dieser Art wird durch die orale Deprivation im Säuglingsalter und die spätere genitale Frustrierung bestimmt, die die Aggression lähmt.  Diese Menschen erreichen als Kinder das genitale Stadium der Ich-Entwicklung, aber mit einer inhärenten Schwäche, die auf das starke orale Element zurückgeht.  Wenn in dieser Zeit die Genitalität und die Aggression des Kindes gefördert werden, wird sich die orale Störung allmählich verringern.  In diesen Dingen muß man quantitativ denken.

Der Passiv-Feminine ist durch seinen Mangel an emotionalem Ausdruck und durch seine relative körperliche Unbeweglichkeit gekennzeichnet.  Einerseits fehlt ihm die impulsivität der prägenitalen Charaktere, andererseits fehlt ihm auch die Aggression, die den phallischen Mann kennzeichnet.  Die Rigidität, die seine Genitalfunktion gewährleistet, immobilisiert seine Aggression.  An der Oberfläche dreht sich der psychische Konflikt um die Einstellung zur Frau.  Auf Grund der oralen Störung besteht ein tiefes Bedürfnis nach Kontakt, und dieses tritt auf der genitalen Ebene in Widerstand zu dem Wunsch nach Entladung und Befriedigung.  Es ist schwierig, wenn nicht unmöglich, zur gleichen Zeit zwei Rollen zu spielen.  Der passiv-feminine Mann kann entweder in einer sexuellen Beziehung zu einer älteren Frau der Säugling sein oder gegenüber einer jüngeren, abhängigeren Frau als Vaterfigur fungieren. Er kann nicht der „Mann“ einer Frau sein.

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